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Einen Widerspruch nach § 102 BetrVG gerichtsfest zu formulieren, ist eine Herausforderung für Betriebsräte. Neben einer ordnungsgemäßen Einladung und Beschlussfassung  besteht die größte Herausforderung darin, den Widerspruch so zu formulieren, dass Ihr Widerspruch einen echten Mehrwert für den Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses hat. Sie wollen im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG widersprechen, Bedenken äußern und dem betroffen Kollegen helfen? An dieser Stelle liefern wir Ihnen eine Anleitung für Ihre tägliche Betriebsratsarbeit.

Fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung – Anhörung durch den Arbeitgeber

Kommt es zu einem Zerwürfnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, kann der Arbeitgeber bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen das Arbeitsverhältnis ordentlich oder womöglich sogar außerordentlich kündigen. Arbeitgeber kombinieren diese Möglichkeiten häufig: sie kündigen fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht. Damit sind juristisch zwei Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG in Gang gesetzt. Nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG soll der Betriebsrat den betroffenen Arbeitnehmer hören. Und die gute Nachricht: Sie können jedwede Gründe aufführen, die ihres Erachtens gegen die Kündigungsabsicht sprechen.

Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei geplanten Kündigungen

Betriebsräte können zwischen vier Möglichkeiten wählen:

  1. Mitteilung von Bedenken,
  2. Widerspruch des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 3 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG nur gegen eine ordentliche Kündigung
  3. Zustimmung zur Kündigung ist keine Handlungsoption
  4. keine Stellungnahme mit der Wirkung einer fiktiven Zustimmung

Richtige Reaktion auf die Anhörung zur fristlosen Kündigung

Zunächst sollten Sie einen Beschluss im Hinblick auf die fristlose Kündigung fassen.

Der Beschluss könnte wie folgt aufgebaut sein:

  1. Der BR hat Bedenken gegen die fristlose Kündigung.
  2. Gründe:

Die Gründe für die Bedenken sind weit. Führen Sie  alle Gründe, die zugunsten des AN sprechen, auf – z.B. andere Beschäftigungsmöglichkeiten, soziale Aspekte oder Auswirkungen auf den Betrieb und das soziale Umfeld des Arbeitnehmers. Führen Sie aber auch Ihre Sichtweise zu den vom Arbeitgeber genannten betrieblichen Interessen auf. Ein Beispiel: hat der Arbeitgeber in der Anhörung formuliert, die vom Arbeitnehmer begangene Pflichtverletzung (oder der Verdacht des Arbeitgebers) sei ein immenser Vertrauensverlust, so könnte der Betriebsrat hier darauf hinweisen, dass der Arbeitgeber diesen Vertrauensverlust in vergleichbaren Fällen nicht empfindet, dass der Betriebsrat gern bei der Wiederherstellung des Vertrauens behilflich ist, vielleicht der Arbeitnehmer auch Reue gezeigt und sich entschuldigt hat und so weiter.

Ihr Bedenkenschreiben kann der Arbeitnehmer in seinem Kündigungsschutzprozess dem Gericht vorlegen, wenn das Gericht prüft, ob es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, die vereinbarte Kündigungsfrist einzuhalten. Das Gericht wird Ihre Stellungnahme zu den beiderseitigen Interessen aufmerksam werten. Ein Hinweis zum Schluss: Das Gericht wird Ihre Ausführungen zum Kündigungsgrund („hat er es getan oder nicht“) nicht werten, denn dies ist rechtlich nicht Ihre Aufgabe.

Richtige Reaktion auf die Anhörung zur ordentlichen, fristgerechten Kündigung

Nach dem Beschluss zur fristlosen Kündigung sollten Sie einen Beschluss im Hinblick auf die hilfsweise ausgesprochene ordentliche beziehungsweise fristgerechte Kündigung fassen.

III.          Der BR widerspricht der ordentlichen Kündigung

  1. Gründe:

An dieser Stelle sollten Sie sehr ausführlich und sehr konkrete Angaben zu den einzelnen Regelungstatbeständen des § 102 Absatz 3 BetrVG formulieren, wenn Sie Ansatzpunkte hierfür finden. Bei einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung wegen eines groben Pflichtverstoßes findet sich meistens kein Widerspruchsgrund. Wenn Sie aber der Ansicht sind, dass der Vorwurf, den der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer macht, durch zumutbare Fortbildung hätte verhindert werden können, weil gar keine verhaltensbedingte, sondern eine personenbedingte Kündigung vorliegt, oder eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vielleicht dadurch wiederhergestellt werden kann, dass der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz oder mit anderen Kollegen des Betriebes eingesetzt wird, könnte dies hier eingewandt werden, auch wenn die juristische Bewertung letztlich dem Arbeitsgericht obliegt.

  1. Im Übrigen hegt der Betriebsrat gegen die ordentliche Kündigung Bedenken

An dieser Stelle sind alle Punkte, die zugunsten des Arbeitnehmers eine Rolle spielen aufzunehmen. Sie können auch hier auf die vom Arbeitgeber genannten betrieblichen Interessen erwidernd eingehen. Aber auch hier gilt: die Frage, ob der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund tatsächlich vorliegt oder nicht, entscheidet allein das Gericht, dies liegt nicht in Ihrem Aufgabenkreis.

Gern stehen wir Ihnen bei Formulierungsfragen etc. zur Seite.

Die Bedenken bei einer außerordentlichen Kündigung rechtlich korrekt formulieren

Die Bedenken, die der Betriebsrat äußert, können außerhalb der Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG liegen. Der Arbeitgeber ist nicht an die Stellungnahme des Betriebsrats gebunden, jedoch hat er sich im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 BetrVG damit zu befassen.

Der Betriebsrat ist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung anzuhören. Ohne Anhörung des Betriebsrates ist sie unwirksam. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich dem Betriebsrat wegen der Interessenabwägung auch bei einer außerordentlichen Kündigung die Sozialdaten des zu kündigenden Arbeitnehmers mitzuteilen. Hat der Betriebsrat gegen die außerordentliche Kündigung Bedenken, hat er dies dem Arbeitgeber unter Angabe der Gründe sofort, spätestens innerhalb von drei (Kalender-)Tagen nach Zugang der Mitteilung schriftlich mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 u. 2 BetrVG). Im Unterschied zur ordentlichen Kündigung ist gegen die außerordentliche Kündigung ein Widerspruch nicht möglich.

Tipp: Ein Betriebsrat sollte immer innerhalb der Wochenfrist Bedenken gegen eine Kündigung äußern, um deutlich zu machen, auf welcher Seite der Betriebsrat steht. Ob die Bedenken eine Wirkung haben, entscheidet im Kündigungsschutzprozess das Gericht.

Den Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung formulieren

Der Betriebsrat kann einer geplanten ordentlichen Kündigung innerhalb der Wochenfrist nach § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG widersprechen. Um einen rechtswirksamen Widerspruch zu erreichen, bedarf dieser der Schriftform. Dabei kann der Betriebsrat nur nach den im BetrVG verankerten Gründen des § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 widersprechen.

Achten Sie darauf, dass Sie nicht schlicht auf den Gesetzestext verweisen oder ihn wiederholen, sondern ein Mindestmaß an konkreter Argumentation darlegen, um eine Rechtswirksamkeit begründen zu können. Ihr Widerspruch hat im Kündigungsrechtsstreit die wichtige Funktion, betriebliche Verhältnisse und Hintergründe dem Gericht zu erklären.

Trotz Ihres Widerspruchs kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen.

Hat der Betriebsrat frist- und ordnungsgemäß widersprochen, so kann der Arbeitnehmer im Rahmen einer evtl. Kündigungsschutzklage und gem. § 102 Abs. 5 BetrVG ausdrücklich seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verlangen.

Die Zustimmung des Betriebsrates vielfach diskutiert – das sollten Sie wissen:

Eine ausdrückliche Zustimmungserteilung des Betriebsrats zu einer geplanten (außer)ordentlichen Kündigung sieht das Gesetz nicht vor und kann vom Betriebsrat deshalb nicht verlangt werden.

Stimmt der Betriebsrat in Verkennung seiner Aufgabe einer Kündigung ausdrücklich zu, so führt dies nicht zur sozialen Rechtfertigung und Rechtmäßigkeit der Kündigung. Eine solche Zustimmung zur Kündigung ist mit Ausnahme der fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes nach § 103 BetrVG nicht möglich. Eine ausdrückliche Zustimmung zu einer Kündigung sollte ein Betriebsrat auch nicht abgeben, denn er würde sich damit in das Arbeitsvertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einmischen. Individuelles Arbeitsrecht gehört nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats. Und Arbeitnehmer, vielleicht auch Kollegen des Gekündigten, machen für die Kündigung dann nicht den Arbeitgeber, sondern den Betriebsrat verantwortlich. Dann ist der Ruf des Betriebsrats ruiniert, egal, ob der betroffene Arbeitnehmer sich etwas hat zu Schulden kommen lassen oder nicht. Aus der Nummer ist es für den Betriebsrat ganz schwer, wieder herauszukommen. Denn das, was für den Arbeitgeber einen wichtigen Grund oder auch nur eine gute Gelegenheit für eine fristlose Kündigung darstellt, ist in den Augen der Kollegen vielleicht nur ein wenig Mogelei oder ungeschicktes Verhalten des Kollegen. Auch wenn alle an eine Schuld glauben, erwiesen ist sie häufig nicht (sogenannte Verdachtskündigung). Und moralische Entrüstung führt auch beim Betriebsrat nicht zu einer Erweiterung seiner gesetzlichen Zuständigkeit, sich hier individualrechtlich einzumischen.

Die letzte Wahlmöglichkeit – Sie schweigen….  und dann?

Gibt der Betriebsrat innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG keine Stellungnahme ab, so gilt die Zustimmung als erteilt. Dies ist aber keine tatsächliche Zustimmung, sondern nur eine Fiktion des Gesetzgebers. Aus den oben genannten Gründen gibt es nämlich keine tatsächliche Zustimmung.

Dies sollten Sie beachten und es nicht so weit kommen lassen. Denn bei Fristverstreichung kann der Arbeitgeber in die Kündigung hineinformulieren, dass der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hat. Diesen schwarzen Peter sollten Sie durch kluges und vorausschauendes Handeln vermeiden!

Sie möchten Ihrem Arbeitgeber Handschellen anlegen? – Freiwillige Betriebsvereinbarungen sind das Mittel!

Durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 102 Abs. 6 BetrVG kann die Wirksamkeit von Kündigungen von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht werden. Wir zeigen Ihnen, welchen rechtlichen Rahmen Sie haben und wie Sie sich strategisch in den Verhandlungen zu einer solchen Betriebsvereinbarung richtig positionieren, ohne die Vertrauensbasis zwischen Belegschaft und Betriebsrat zu gefährden.

Ein Fristen-Tipp am Ende:

Zur außerordentlichen Kündigung muss der Betriebsrat sich umgehend äußern. Bei der hilfsweise ordentlich auszusprechenden Kündigung sollte der Betriebsrat die vom Gesetz eingeräumte Frist von einer Woche nutzen.

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